12.09.2018 / Dr. Andreas Prüeß

Stickstoff- und Ökologiewende Baden-Württemberg – Zukunftsperspektive im Dienst der Umwelt 2030

Runder Tisch: von Michael Schulz (am Mikrofon) nach rechts: Präsidentin Eva Bell, Staatssekretär Dr. Andre Baumann, PD Dr. hab. Markus Bernhard-Römermann, Dr. Andreas Prüeß, Mark Wilmot, Günter Denninger, Dr. Gerhard Bronner, Dr. Markus Röhl, Dr. Heike Puhlmann, Gerald Wehde, Prof. Dr. Wolfgang Wilcke und Siegfried Demuth (Foto: LUBW, Daniel Schulz-Engler)

Rückblick auf den öffentlichen Teil des Fachgruppentags Naturwissenschaften der Gewerkschaft BTBkomba

Die Stickstoff- und Ökologiewende Baden-Württemberg wurde am 15. November 2017 auf dem Motorschiff Karlsruhe durch Herrn Staatssekretär Dr. Andre Baumann eingeläutet[i]. Die Notwendigkeit einer Stickstoff- und Ökologiewende stellte von den rund 50 Teilnehmern des Fachgruppentags Naturwissenschaften niemand mehr infrage.

Am runden Tisch kristallisierten sich unterschiedliche Handlungsstränge und Herangehensweisen an das Thema heraus.

In ihrem Grußwort thematisierte Frau Eva Bell, Präsidentin der LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg eindringlich Umwelt als „die Zukunfts­perspektive“ zu verstehen und dass der globale Umweltzustand besorgniserregend sei: „Die ökologischen Belastungsgrenzen sind vor allem bei der biologischen Vielfalt und bei den Nährstoffkreisläufen weit überschritten ... Die Menschen haben hier den sicheren Handlungsspielraum bereits verlassen.“

Staatssekretär Dr. Andre Baumann sprach sich darum für eine umsetzungsorientierte Stickstoffstrategie aus, die das Ziel hat, die Stickstoffeinträge zum Schutz von Natur, Umwelt und der menschlichen Gesundheit auf ein verträgliches Niveau zu senken.

Siegfried Demuth vom Institut für Botanik und Landschaftskunde, Karlsruhe erläuterte, dass unter den in Baden-Württemberg gefährdeten, sehr seltenen oder ausgestorbenen Pflanzen die sog. Stickstoffarmutszeiger besonders betroffen sind – wie die Hummel-Ragwurz, der Lungen-Enzian, der Rundblättrige Sonnentau. Der Habichtskraut-Wiesenspinner ist ein Beispiel für eine stark gefährdete Insektenart (Schmetterling), weil er in gedüngten, dicht schließenden Wiesen nicht überleben kann.

Ein anderes Problem schilderte Herr Staatssekretär Baumann und erhielt dabei Unterstützung unterstützt von Dr. Markus Röhl, HfWU Nürtingen: „Belastete Moore bilden kein Torf mehr. Torf bildende Torfmoosarten werden von Torfmoosarten, die kein Torf bilden verdrängt. Die Moose sehen sich sehr ähnlich und sind nur von Experten unterscheidbar. Aber der Prozess ist fatal: Seit tausenden von Jahren sind die Moore gewachsen, nun sind sie tot.

Die Stickstoffsättigung der Wälder sei auch eine tickende Zeitbombe betonten einhellig Dr. Heike Puhlmann, Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg und PD Dr. hab. Markus Bernhard-Römermann, Institut für Ökologie der Universität Jena von weiteren angelaufenen StickstoffBW Projekten. Bei StickstoffBW handelt es sich um das Verbundvorhaben des Landes Baden-Württemberg zur Lösung der Stickstoffproblematik. 2017 wurden die ersten Datengrundlagen veröffentlicht, um nun die Stickstoff- und Ökologiewende einzuläuten, erläuterte Staatssekretär Baumann.

Es ist fatal, dass sich die landwirtschaftliche Standesvertretung jahrzehntelang gegen die Hoftorbilanz als realistisches Bilanzierungstool wehrte“: Dr. Gerhard Bronner, Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg. Denn „Baden-Württemberg verfügt über schlagkräftige Unternehmen in Bio-Verarbeitung und Handel und es gibt im Land ein hohes Potential für mehr Biolandbau“, so Gerald Wehde, in Vertretung für die Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau Baden-Württemberg e.V. „Mit der Erstausbildung müssen wir Anfangen und die 20 Jahre alten Lehrpläne endlich erneuern“: Günter Denninger, Bundesring landwirtschaftlicher Berufsschullehrer (Vorsitzender) von der Landwirtschaftliche Berufsschule Ettlingen.

Michael Schulz, LBV Landesbauernverband Baden-Württemberg erinnerte an ein Kernziel von StickstoffBW „neue sachgerechte Maßstäbe zu entwickeln, die den Umwelt- und Naturschutz, das Tierwohl und die Selbstversorgung im Land vereinen“ – was er voll und ganz mittragen könne, "auch wenn es sich dabei um die Quadratur des Kreises handelt. ... Es gibt nicht die Blaupause, um alles sofort zu lösen. In der notwendigen Beratung wirken Maßnahmen oft erst zeitverzögert: Wandel braucht Zeit."

Als technische Lösung hat Mark Wilmot , vom Staatlichen Institut für Gesundheit und Umwelt, Holland (RIVM) das Niederländische Stickstoff-Managementprogramm AERIUS vorgestellt. Besonderheit hier: Der Grenzwert (die De-minimis-Schwelle) für die Genehmigung eines Stickstoffeintrags in belastete Ökosysteme ist mit nur 14 g/ha a (ein Mol) festgelegt. Dennoch ist es in den Niederlanden gelungen, ein praktikables Genehmigungswesen auf den Weg zu bringen. Mark Wilmot wurde mit den herzlichen Worten verabschiedet: „wir sehen uns wieder in Baden-Württemberg“.

Prof. Dr. Wolfgang Wilcke , vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erläuterte, dass nun alle Anstrengungen unternommen werden, die Kenntnislücken beim sehr komplizierten N-Kreislauf zu schließen. Einhellig waren sich die Teilnehmer des Fachgruppentags einig, dass die konkreten Instrumente und Maßnahmen jetzt auf den Weg gebracht werden müssen – auch wenn noch Unsicherheiten bleiben. „Es ist nicht notwendig, den Untergang präzise beschreiben zu können“ so Staatssekretär Baumann. Ein Maßnahmen-Beispiel führte Eva Bell aus: „Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) bewertet den Fleischkonsum rein aus gesundheitlicher Sicht und gibt folgende Empfehlung: „Wenn Sie Fleisch essen, dann nicht mehr als 300 bis 600 g pro Woche.“ Das ist wirklich nicht sehr viel. Aktuell isst jeder von uns das Zwei- bis Vierfache davon (1.150 g/Woche).“

Stand Juli 2018

Der Europäische Gerichtshof hat inzwischen das von Mark Wilmot vorgestellte Stickstoff-Managementprogramm bestätigt und sich zugleich kritisch zur deutschen Rechtsprechung geäußert[ii]. Das BMU Bundesumweltministerium hat nochmal sehr deutlich - inzwischen auch mit Blick auf das Insektensterben - auf die Umweltprobleme durch Stickstoff hingewiesen[iii][iv]. Über die Stoffstrombilanzverordnung in ein paar Jahren einige Spitzen kappen zu wollen ist ein richtiger Schritt (gültig seit 1.1.2018), ist aber deutlich zu vage, zu langsam und viel zu wenig. Ein öffentlicher Diskurs und ein „Momentum“ sind für den Wandel notwendig[v]. Dabei muss die zentrale Frage nach den Kosten der Stickstoff- und Ökologiewende auf den Tisch. Denn langfristig könnte es erforderlich werden, die Grundfinanzierung einer neu ausgerichteten Landwirtschaft durch die Gesellschaft deutlich zu steigern, wenn nicht sogar zu verdoppeln - für die vollständige Stickstoff- und Ökologiewende bis zum Jahr 2030.

gez.

Dr. Prüeß

BTBKomba, Fachgruppe Naturwissenschaften


[i]https://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/medienuebergreifende-umweltbeobachtung/stickstoffbw

[ii]http://curia.europa.eu/ > Rechtssachen C-293/17 und C-294/17

[iii]https://www.bmu.de/pressemitteilung/bundesregierung-beschliesst-ersten-stickstoffbericht/

[iv]https://www.bmu.de/pressemitteilung/bundeskabinett-beschliesst-eckpunkte-fuer-aktionsprogramm-zum-insektenschutz/

[v]https://www.bafu.admin.ch/ubk18

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